Die Bildungsweise der deutschen Ortsnamen

Im Folgenden sollen nun zwei Bildungstypen der Ortsnamen, aus zwei verschiedenen Gegenden im Gebiet der heutigen BRD genauer betrachtet werden, nämlich die Orte die auf -weiler enden und die Ortsnamen slawischen Ursprungs. Es wird an die Ausführungen kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben; sie sollen den Gegenstand der Ortsnamenforschung lediglich exemplarisch verdeutlichen.

a. Die Namen auf -weiler
Das, was früher als -wilare erschien, tritt heute als -weiler, -wiler, -wie(h)er, -weil, -will, -wyl auf. Wilare ist ein Lehnwort aus dem Romanischen, das seit dem 7. Jahrhundert auftaucht und bezieht sich nicht auf lat. villa, sondern auf altfranzösisch viller = Gehöft. Bei den Merowingern bezeichnete villare (frühmittellateinisch) eine Nebenanlage. -weiler-Orte hatten demnach eine geringere Bedeutung und waren meist kleinere Siedlungen. Es war ein Niederschlag der germanisch-romanischen Reichskultur des fränkischen Staates, der in der Ortsnamenbildung greifbar wird. Die Endung -wilare erscheint überall dort, wo innerhalb des fränkischen Staatsgebiets Landesausbau betreiben wurde (war aber nicht der alleiniger Name). Es kam zu einer Schwächung des langen a. Diese Schwächung war verbunden mit dem Abwurf der Endsilbe, so dass aus wilari wilere wurde. Die Mittelsilbe von wilere wurde ausgeworfen und wilre entstand. Wilre wurde durch die neuhochdeutsche Diphthongierung zu weil, weir und weier. Weiler wurde zum Modewort und massenhaft für Neugründungen verwendet. Da sich die -weiler-Namen im deutschen Westen meist nicht in altbesiedelten Gebieten befinden, müssen sie aus den Zeiten nach der Wanderung stammen. Tatsächlich sind sie dem Ausbau seit dem 7. Jahrhundert zuzuweisen. Orte mit dieser Endung sind in der Pfalz, am Niederrhein und um Aachen genauso verbreitet wie in Alemannien. Dagegen treten sie in Bayern nur vereinzelt auf. In Österreich, Niedersachsen und im Osten tauchen sie überhaupt nicht auf. Sie überschreiten den Limes nur am Knie am fränkischen Wald. Wie oben schon genannt, wird -weiler seit dem 7. Jahrhundert für die Ortsnamenbildung verwendet und blieb lange fruchtbar. Sie kamen von Nordgallien bis zum Niederrhein, über Lothringen bis zum Mittelrhein; gelangten bald in den alemannischen Raum bis zur Lechgrenze.

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Die -weiler-Orte liegen nicht im besten, zuerst besiedelten Land, sondern auf anschließend vom ersten Landesausbau erschlossenen Boden. Sie liegen am Rande eines altbesiedelten Gebietes und bedeuten den ersten Schritt in das unbenutzte Land. So stammen in Frankreich stammen sie aus der merowingischen (ab 5. Jh), in Deutschland aus der karolingischen Zeit (ab 7. Jh). Die Erstnennungen in Württemberg sind aus den Jahren 850-900 überliefert, d.h., dass sie wahrscheinlich 700-900 gegründet worden sind.Die Gemeinsame Verwendung dieser Endung in beiden Landen ist eine Äußerung von gemeinsamer Reichskultur. Der Hauptzug beginnt in Mittelfranken und zieht sich bis südlich des Donaukreises. Dort ist Hauptsitz der Bildung. Es zieht sich dann westlich bis über den Rhein ins Elsass, anschließend nordwärts in die bairische Pfalz, nach Trier und Koblenz und verliert sich dann um Köln und Aachen. Die äußerersten Zipfel sind um Düsseldorf, Limburg, Rheinhessen, Unterfranken, badischer Unterrhein, Oberfranken, Niederbayern, Oberbayern und Vorarlberg.

Zu beachten ist, dass die deutschen -weiler-Orte, trotz des romanischen Lehnwortes, Siedlungen aus deutscher Wurzel sind. Es sind keine römischen Ortsgründungen, auch wenn viele -weiler-Orte an alten Römerstraßen auftreten! Aber sie fallen eben nicht grundsätzlich mit dem alten Straßennetz zusammen. Es treten freilich noch mehr in Gegenden, die erst nach der Landnahme gerodet wurden, auf - also weit entfernt von den römischen Straßen. Am Mittelrhein sind sie sogar rechtsrheinisch, jenseits des Limes zu finden. Im Übrigen kannte man in der römischen Zeit keine -weiler-Namen. -weiler erlangte durch die Namenmode aus den romanischen Ländern (besonders Frankreich) seit Merowinger Zeit Raum Verbreitung im deutschen Gebiet. Die weiter westlich gelegeneren -weiler-Orte sind älter als die östlicheren. die Verbreitung erfolgte also ähnlich einer Strahlung. Hauptsächlich sind sie auf den Umkreis des merowingisch-fränkischen Staates des 6./7. Jh beschränkt. In Württemberg liegen die -weiler-Orte meist in höheren Lagen und häufig neben Zell-Orten.

Stammen die pfälzischen -weiler-Orte schon aus Zeiten Karls des Großen (um 800), so wurden sie im Hunsrück noch im Mittelalter für Rodungsnamen verwendetet. Zu der Annahme gelangte man, weil sich Orte auf -scheid und -rod in Nachbarschaft befinden und diese typisch für die mittelalterliche Rodungsperiode waren. Ähnliches gilt für Kölner Raum, die zeitlich Einordnung um Aachen ist allerdings schwierig. Hier fehlen Hinweise auf vorfränkische Zeit.

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b. Kolonialgebiet östlich der Elbe

Nachdem die germanischen Stämme nach der Völkerwanderung abgezogen waren, kamen die Slawen. Durch den Wegzug der Germanen war der Osten nur noch dünn besiedelt und so konnten die Slawen diesen Raum besetzten. Unter Karl dem Großen (um 800) gerieten sie in kriegerische Auseinandersetzungen. Deswegen legte Karl gegen deren Überfälle einen Limes an, den sogenannten "Limes Sorabicus": von Regensburg, Nürnberg, Hallstatt bei Bamberg, Erfurt, Saale-Elbe-Linie, Madeburg bis Braunschweig. Dieser erste Limes wurde durch einen zweiten, den "Limes Saxonicus" (Elbe - Trave - Eutin - Kiel) ergänzt. Schon ab dem 10. Jahrhundert wurde das Gebiet erobert und die westlichen Siedler begannen mit dem Landesausbau. Trotzdem ist bis heute viel slawisches Namengut im deutschen Osten erhalten und hier besonders in den Flurnamen (Krumme Lanke, Luch). Erhalten geblieben ist uns dieses Gut, weil die deutschen Siedler die slawischen Namen übernommen hatten. Die Deutung der slawischen Ortsnamen ist heute schwierig, da die slawischen Sprachen im Osten alle, außer dem Sorbischen, ausgestorben sind. So können die slawischen Mundarten, wenn überhaupt, nur noch aus den Ortsnamen erschlossen werden. Die Schwierigkeit dessen liegt darin, dass die slawischen Ortsnamen von deutschen Schreibern entstellt wurden. Das passierte durch falsches Hören, Verschreibungen, etc. Nicht selten wurden deutsche und slawische Elemente miteinander vermischt (Wittstock geht z.B. auf das slawische wysoka = Höhe zurück). Deswegen sind Deutungen oft unmöglich und in den meisten Fällen ist es falsch, slawische Ortsnamen übersetzten zu wollen. Es kam aber auch vor, dass sich der gleiche Name durch die Eindeutschung verschieden entwickelte:

  • Chotebud wurde zu Gadebusch, Cottbus und Kuhschwanz
  • aus Szczytno wurde Stieten, Stettin und Ziethen
Das ursprünglich slawische o in Endsilbe erscheint heute als a:
  • goszcz - gast è Radegast, Weddegast
  • szcz durch st ersetzt è Szczytno - Stettin
Aus s wurde z, so dass Sosna zu Zossen wurde. Die Endung -sk wurde zu -zig und so hieß Leipzig ursprünglich Lipsk. Auch Prenzlau hieß nicht immer so, sondern Prenzlawj - deutlich zu sehen, dass das j abgeworfen wurde. Bemerkenswert ist, dass wo immer Slawen siedelten, gleiche Bildungstypen im Namensschatz der Ortsnamen auftreten. Slawische Ortsnamen wiederholen sich, auch in weiten Entfernungen:
  • Trebbin entspricht Trebinje in der Herzegowina
  • Lübben entspricht Lubien bei Lemberg
  • Prenzlau entspricht Peresjaslavl

Die Endung -ow, die so typisch für Brandenburg und Mecklenburg ist, kommt von der wendischen Adjektivendung -ov. Aber: nicht alle Ortsnamen die auf -ow enden, können automatisch als slawisch gelten. Glindow bei Potsdam z.B. wurde lange Zeit als slawisch angesehen, bis man herausfand, dass dies ein Irrtum ist. Glindow ist nämlich deutsch und von glind- = Umzänung abgeleitet. -ow wurde später aus Gründen der Einheitlichkeit angehangen. Viele slawische Suffixe sind in den deutschen Ortsnamen unterschiedslos zu -itz zusammengefallen. Hier einige Bespiele:
  • Kamienica > Chemnitz
  • Ostrowiec > Wusterwitz
  • Siedlce > Zedlitz
Zum Abschluss noch ein kleines Gedicht aus Fontanes 3. Bd. der "Wanderungen durch die Mark Brandenburg":

Linow, Lindow,
Rhinow, Glindow
Beetz
und Gatow,
Dreetz
und Flatow,
Bamme, Damme, Kriele, Krielow,
Petzow, Retzow
, Ferch am Schielow,
Zachow, Wachow
und Groß-Bähnitz,
Marquardt an der stillen Schlänitz,
Senzke, Lenzke und Marzahne,
Lietzow, Tietzow und Rekahne,
und zum Schluß in dem leuchtenden Kranz:
Ketzin, Ketzür und Vehlefanz.