Yolanda von Vianden: Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe John Meiers
und neuhochdeutsche Übersetzung

Verknüpfung mit dem Kommentar
Vgl. dazu auch die
allgemeinen Hinweise vor dem eigentlichen Kommentar!

Textauswahl: Das Textstück V. 1228-1270 wurde exemplarisch bearbeitet. Hier führt Yolanda ein Streitgespräch mit ihrem Bruder: Dieser hat erfahren, daß sie sich weigert, standesgemäß zu heiraten, und statt dessen Nonne werden möchte.

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1228 Der junge grêve, hir bru/oder Der junge Graf, ihr Bruder
1229 bedru/ovet zu/o der suster gync. ging ganz aufgewühlt zu seiner Schwester.
1230 suslîche rede her anevync: Er begann folgende Rede:
1231 "ich biden, herzesuster, dich, "Ich bitte dich, liebste Schwester,
1232 dat du des nyt enheles mich, mir nicht zu verschweigen,
1233 des ich dich willen vrâgen." was ich dich fragen werde."
1234 sy sprach: "ich sol dir sagen Sie antwortete: "Ich werde dir
1235 vil gerne, wat ich gu/odes kann." sehr bereitwillig sagen, was ich an guten Dingen weiß."
1236 "nû sage, lyve suster, dan: "Nun, liebe Schwester, so sage mir:
1237 ist dat an dîner begerden, ist es dein Wille,
1238 dat du wilt nunne werden?" Nonne zu werden?"
1239 "ja", sprach dy gu/ode, "dat is wâr. "Ja", antwortete das reine Mädchen, "das stimmt
1240 ich han des willen offenbâr ich trage ganz offensichtlich diese Absicht,
1241 und ist dat alle mîn beger." und das ist alles, was ich will."
1242 "nû sage, lyve suster, wer "Nun sage, liebe Schwester, wer
1243 hat dich herzu/o gebrachten? hat dich dazu gebracht?
1244 has du dit selven erdahten? Hast du dir das selbst ausgedacht?
1245 ist it dir ernest aver spot?" Ist es dein Ernst oder machst du Spaß?
1246 "it ist mir ernest, unde got Es ist mein Ernst, und Gott
1247 hat sunderlîche dat gedân, hat dies eigentlich so gefügt,
1248 und it mu/oz wesen sunder wân." und es muß ohne Zweifel auch geschehen."
1249 "jâ suster", sprach der junge man, "Ja, Schwester", sagte der junge Mann,
1250 "vil wol ich dat gepru/oven kann, "ich kann das sehr gut verstehen,
1251 warumbe hir ûch begevet: warum ihr euch ins Kloster begebt:
1252 ûch dunket, wy hir levet euch scheint, ihr lebt
1253 ze lange maget sunder man. zu lange (schon) als Jungfrau ohne Ehemann.
1254 ist ûch dat leit, âr wat is dan Seid ihr dessen überdrüssig, oder was ist es sonst,
1255 dat ûch alsus bedru/ovet? was euch so betrübt?
1256 wir han dat wol gepru/ovet, Wir haben das sehr wohl bemerkt,
1257 dat hir in ungemu/ode sît daß ihr mißmutig seid,
1258 wir wollen gerne (und des is zît) und möchten euch nun gerne (dafür ist auch höchste Zeit)
1259 ûch geven einen rîchen man, einen mächtigen Mann geben,
1260 den wir ûch hô erkoren han." den wir euch aus ausgewählten Kreisen erwählt haben."
1261 dâ sprache dy reine gu/ode Da sagte das reine, ehrenhafte Mädchen
1262 bit zorne in swâre mu/ode: wütend und traurig:
1263 "nein, bru/oder, des enmach nyt sîn. "Nein, Bruder, das kann nicht sein.
1264 ich geven ûch dy trûe mîn, Ich gebe euch mein Wort
1265 dat, woilde ich kumen sîn zu/o man, daß, wollte ich einen Mann haben,
1266 ich soilde hin michels bezzer han, ich würde einen viel besseren bekommen,
1267 dan hir gewinnet unmer wîf. als ihr jemals eine Frau erringen werdet.
1268 mîn mu/ot, min herze und ôich mîn lîf Meine Denken, meine Seele und auch mein ganzes Ich
1269 enhat des keinen wille. haben danach kein Verlangen.
1270 der reden swîget stille." Verliert darüber kein Wort mehr."
 

 

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