Yolanda von Vianden

Erläuterungen

1. Zur Person der Yolanda von Vianden - Historische Hindergründe

Im Yolanda-Epos, das hauptsächlich die Jahre 1246 bis 1248 beleuchtet, tauchen zwar eine Fülle von historischen Personen, Orten und Ereignissen auf, aber die Hintergründe und Zusammenhänge verdeutlichte Bruder Hermann seinen Zuhörerinnen / Leserinnen im Kloster Marienthal nicht, denn er konnte davon ausgehen, daß die Nonnen mit den hochmittelalterlichen gesellschaftlichen Verhältnissen und der Geschichte des Viandener Grafenhauses gut bekannt waren. Da diese dem Leser heute nicht mehr unbedingt geläufig sind, folgen hier nun einige grundlegende Informationen.

Die Geschichte des Viandener Grafenhauses

Seit dem 10. Jahrhundert ist die Viandener Dynastie dauerhaft bezeugt. Wie auch andere Adelsgeschlechter in der Feudalzeit sammelte sie Landbesitz und Herrschaftsrechte und bemühte sich, ein wachsendes, gesichertes Territorium um das Machtzentrum, die Stammburg Vianden an der Our, aufzubauen. Um dies zu erreichen, bediente sich die Familie der üblichen Mittel. Dazu gehörte z.B. das Erbrecht für den ältesten Sohn, denn so vermied man die Teilung und Schwächung des Besitzes. Zudem verheiratete die Familie jüngere Söhne und Töchter günstig mit anderen Adligen, um vorteilhafte verwandtschaftliche Verbindungen und damit Einflußmöglichkeiten und Allianzen zu schaffen. Kinder, die keine günstige Heiratspartie machen konnten, schlugen zwangsläufig die geistliche Laufbahn ein: Als Bischof, Domprobst, Abt oder Mönch versorgte man die Männer, als Äbtissin, Nonne oder Stiftsdame die Frauen. Yolandas Lieblingsbruder Heinrich erhält beispielsweise über seinen einflußreichen Cousin Konrad von Hochstaden, der Erzbischof in Köln ist, eine Stelle als Domprobst zu Aachen. So übten günstigenfalls auch diese Familienmitglieder in mächtigen und reichen Klöstern, Stiften und Bistümern, die der Familie verbunden waren, Herrschaft aus und stärkten so das Zusammengehörigkeitsgefühl und Ansehen der Dynastie.

Dank einer konsequenten Familienpolitik befand sich das Viandener Grafenhaus in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, während der Jugend Yolandas also, auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines Prestiges. Deutliches Zeichen des Viandener Ansehens war die Hochzeit von Yolandas Vater, Heinrich I., mit Margarethe von Courtenay. Der Graf knüpfte durch diese Ehe über seine Gattin mit den bedeutendsten Adelsfamilien Europas, u.a. mit dem französischen Königshaus, enge verwandtschaftliche Verbindungen. Folglich erhielt die Viandener Dynastie Vergünstigungen und wichtige Ämter von Kaiser und Papst, wodurch ihr Ansehen weiter stieg. Ebenfalls stärkten einige erfolgreiche Geistliche wie z. B. Konrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln, die Herrschaft. Zudem herrschte unter den Familienmitgliedern weitgehend Einigkeit.

Verbündete und Gegner der Viandener

Zwar verbanden das Grafenhaus von Vianden verwandtschaftliche, befriedende Beziehungen mit den adligen Familien von Hochstaden, Sponheim, Salm und Jülich. Aber man hatte auch ausgesprochene Feinde im Machtkampf um Besitz und Herrschaftsrechte: Die Luxemburger Grafen, direkte Nachbarn der Viandener und ebenso einflußreich, konkurrierten mit ihnen um die Vorherrschaft in der Region. So war das Verhältnis der beiden Grafenhäuser langfristigen Spannungen unterworfen, die aber im Yolanda-Epos nur indirekt anklingen. Denn in der Phase zwischen 1240 und 1250 war die Erweiterung des Luxemburger Territoriums und die entscheidende Einkreisungspolitik gegenüber den Nachbarn bereits abgeschlossen. Die erzählte Zeit des Epos (1246-1248) fällt in eine Phase der Entspannung, was zum Beispiel daran deutlich wird, daß Yolandas Mutter der Gräfin von Luxemburg wiederholt Hilfe bei einer komplizierten Schwangerschaft leistet.

Pläne der Viandener für Yolanda

Welche Rolle sollte Yolanda (1231-1283), die jüngste Tochter Heinrichs I. und Margarethes, in diesem Zusammenhang nach dem Willen ihrer Familie spielen? Für sie war von ihrer Familie im Alter von 12 Jahren eine Hochzeit mit Walram II. von Monschau verabredet worden. Ihr Verlobter stand über beide Elternteile in einem engen Verwandtschaftsverhältnis zu den Luxemburgern, so daß die geplante Ehe eine Verbindung zwischen den beiden konkurrierenden Grafenhäusern gestiftet hätte. Die mit der Verlobung verknüpfte Hoffnung zielte vermutlich auf eine dauerhafte Beilegung des Konflikts und auf einen Ausgleich zwischen den beiden Parteien.

So wird auch das Verhalten des Luxemburger Grafen, der Yolanda bei ihrem ersten Besuch in Marienthal gewaltsam aus dem Kloster entfernen läßt, verständlich. Er vertritt hier die Interessen seines Verwandten Walram II. Dieser läuft nicht nur Gefahr, seine Braut zu verlieren, sondern auch die politischen Absichten seiner Familie nicht erfüllen zu können.

Auch der langanhaltende Widerstand der Viandener Familie gegen Yolandas Wunsch, in ein Kloster einzutreten, liegt nicht zuletzt in diesen politischen und dynastischen Interessen begründet. Erschwerend kommt aber hinzu, daß Yolanda keinesfalls bereit ist, in dieser Frage auf einen Kompromißvorschlag der zahlreichen Vermittler einzugehen. Die Verwandten kommen ihr nämlich nach endlosen Streitereien und der Auflösung der Verlobung durch Walram II. durchaus entgegen. Sie bitten Yolanda, nicht in das ärmliche, bedeutungslose Kloster eines Bettelordens, noch dazu im Herrschaftsgebiet der Luxemburger gelegen, einzutreten. Statt dessen bieten sie ihr an, Nonne in einem der den Viandenern verbundenen Klöstern, beispielsweise dem Zisterzienserkloster in Salines, zu werden. Dort hätte sie nicht nur persönlichen Besitz behalten, ein standesgemäßes Leben führen und so den Ruf der Familie wahren, sondern auch womöglich in Zukunft die Interessen der Familie als Äbtissin durchsetzen können. All dies lehnte Yolanda, die unter dem Einfluß der neuen Frömmigkeitsideale der Bettelorden stand, kompromißlos ab.

Die Folgen

So außergewöhnlich Yolandas Durchsetzungsvermögen und Kompromißlosigkeit für eine junge adlige Frau aus der heutigen Perspektive auch erscheinen, so weitreichend waren doch die negativen Folgen für die Viandener. Yolanda war nicht die einzige in der Dynastie, die die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllte und internen Familienkonflikten Vorschub leistete. Ihr ältester Bruder Friedrich starb früh, ohne einen mündigen Erben zu hinterlassen. Sein Bruder und Nachfolger Philipp ließ die alte Feindschaft zu den Luxemburgern wieder aufleben. Zusätzlich schmälerten Spaltungen des Erbes und regionale kirchenpolitische Auseinandersetzungen das Prestige und die Macht der Familie. Weniger als 100 Jahre nach der Blüte des Viandener Grafenhauses starb dieser älteste Zweig der Dynastie aus.


 
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